Eigentlich reizt es mich selten zweimal an den gleichen Ort zu fahren, doch Südtirol ist eine Ausnahme. Gut, genau genommen, sind wir bisher nicht immer ins exakt gleiche Hotel oder den exakt gleichen Ort gefahren, aber der Gedanke dies zu tun, schreckt mich im Gegensatz zu anderen Destinationen keineswegs ab. Südtirol ist mein Sehnsuchtsort. Wahnsinnig gutes Essen, viele Orte ohne Massentourismus, beeindruckende (Berg-)Landschaften, Authentizität und die verhältnismäßig kurze Fahrt von München von etwa dreieinhalb Stunden – ein unschlagbares Argument nach dem anderen.
Südtirol ist einfach ein ganz besonderes, wunderschönes Fleckchen Erde. Hier ist die Welt noch in Ordnung, denke ich mir oft. Freilich ist dies nur der Eindruck von außen, dennoch scheinen die Menschen zufriedener und alles strahlt eine erholsame Ruhe aus. Auf der Urlaubsliste steht demnach jedes Jahr eine Auszeit in Südtirol. Letztes Jahr im Juni führte uns diese zur Spronser Seenplatte.
Die Spronser Seenplatte ist die wohl höchstgelegene Seenplatte Europas – geht es nach den Südtirolern sogar weltweit – mit etwa 30 Lacken und Seen auf über 2.000 Metern. Nachdem ich davon irgendwo gelesen und Bilder gesehen hatte, schwirrte es mir bereits einige Zeit im Kopf herum. Der Zustieg zu den Seen ist erst ab Juni/Juli möglich, da vorher in der Höhe noch Schnee liegt und die Wege gesperrt sind.
Wir hatten die Tour für Mitte Juni geplant und verfolgten die Wochen vorher gespannt die Schneesituation über die Webcams. Da bei unserer Anreise immer noch einige Schneereste über 2.000 Meter lagen, mussten wir unsere Route anpassen. Aber von vorne.
Ausgangspunkt ist das beschauliche Dorf Tirol, das etwa eine halbe Stunde von Meran entfernt liegt. Dort geht es zu Fuß oder mit der Seilbahn zur Bergstation Hochmuth. Da unser erstes Übernachtungsdomizil, der Berggasthof Hochmuth, sich direkt an der Bergstation befindet, liegt eine überschaubare erste Etappe vor uns, die wir nach der längeren Autofahrt beschwingt zu Fuß und unter einem bedrohlich aussehenden Himmel antreten. Ganz entspannt ist der Aufstieg von nicht ganz eineinhalb Stunden daher nicht, die ersten Ausblicke dafür umso schöner. Auf den wirklich letzten Metern erwischt uns dann doch der erste Regenguss und wir sind heilfroh, als wir zwar nass, aber happy unser Doppelzimmer beziehen.
Am nächsten Tag geht die Tour zunächst bei strahlendem Sonnenschein Richtung Leiteralm los. Der wahrlich wunderschöne und leicht zu gehende Hans-Frieden-Weg, Teil des Meraner Höhenwegs, führt dorthin. An der Leiteralm angelangt, geht es sodann in den Wald, wo sich der Weg Richtung Hochgangscharte (die wir eigentlich gehen wollten, die aber aufgrund der Schneelage noch gesperrt war) und Taufenscharte teilt. Wir nehmen also alternativlos den Weg Richtung Taufenscharte, der sehr schön durch den Wald und in schon schweißtreibendem Bergauf an den Steilhang der Scharte führt.
Hier lassen wir nach einer kurzen Pause den Wald hinter uns und haben nun den steilsten Aufstieg vor uns. In kleinen Kehren und unter dem wachsamen Blick von vielen Bergziegen erklimmen wir die Scharte. Der Aufstieg auf nunmehr über 2.200 Meter lohnt und beschert einen sagenhaften Blick Richtung Bozen und dem Vinschgau. Danach nehmen wir bergab laufend Kurs auf die ersten beiden Spronser Seen, Pfitscher Lacke und Kaser Lacke, und genießen die Aussicht auf die dahinter liegende, eingebette Oberkaseralm, unsere zweite Schlafstätte.
Dort angekommen lassen wir uns erst einmal den sauguten Kaiserschmarrn munden. Inzwischen zieht es immer mehr zu und es soll sich herausstellen, dass wir dieses Mal mit Glück trocken an unserer Unterkunft angekommen sind. In die Stube kommen immer mehr völlig durchnässte Wanderer, die auch noch den Abstieg vor sich haben.
Am späten Nachmittag reißt es überraschend nochmals auf und während die meisten Gäste die Chance ergreifen und sich sofort auf den Rückweg Richtung Tag machen, entscheiden wir uns kurzerhand zu einem kleinen Aufstieg zu den nächsten Spronser Seen. Und wenn sich das nicht ausgezahlt hat – der Blick, der sich uns einige Höhenmeter weiter oben eröffnet, ist traumhaft. Oberkaseralm, Pfitzer und Kaser Lacke liegen unter uns eingebettet, dahinter schließt sich ein fantastisches Bergpanorama an. Man kann sich gar nicht sattsehen und so verweile ich eine Zeit lang und sauge diesen Moment voller Demut angesichts dieser sagenhaften Schönheit der Natur auf.
Schließlich steigen wir weiter hoch zu den nächsten beiden Seen, Grünsee und Langsee. Der Langsee trägt noch eine Eisschicht und das ab und an darunter hervorblitzende Türkis ergibt ein wahnsinnig tolles, stimmungsvolles Bild. Wir verweilen auch hier ein bisschen, ganz in den Bann gezogen von dieser Landschaft. Einmal Luft holen, durchatmen, abschalten – Südtirol schafft es jedes Mal mich aus meinem Alltags-Gedankenkarussell zu katapultieren und meinen Akku mit einmaligen Eindrücken im Nu wieder aufzuladen. Als die Sonne langsam wieder hinter der Wolkendecke verschwindet, eilen wir mit inzwischen wieder knurrenden Mägen runter Richtung Oberkaseralm.
Der nächste Morgen begrüßt uns mit wolkenverhangenem Himmel und wir sind gottfroh das kleine Sonnenzeitfenster am Tag zuvor voll ausgenutzt zu haben. Nach dem Frühstück schnallen wir unsere Rucksäche wieder auf, lassen Pfitscher und Kaser Lacke rechts liegen und treten stattdessen linker Hand den Abstieg über den sogenannten Jägersteig an. In gut zweieinhalb Stunden steigen wir die 1000 Höhenmeter vom Vortag wieder hinab, zu Anfang begleitet von einem munter vor sich hinplätscherndem Bach. Das mitunter steile Bergab macht die Beine müde und wir sind froh, als wir unten ankommen, den Kopf und die Kamera voller schöner Bilder.