Santa Maria: Wandern und entschleunigen auf den Azoren

Schwierigkeit: mittel; Länge: 80 Kilometer; Dauer: fünf Tagesetappen à 10-22 Kilometer; Aufstieg: insgesamt ca. 3500 Höhenmeter; Übernachtung: vier Nächte in Hütten entlang des Weges

Autsch. Ich ramme mir beim Anschubsen volles Rohr den Ständer des E-Scooters in mein Sprunggelenk. Das tut weh, blutet und – ach du Schreck – eine Schnittwunde klafft unter meinem Knöchel. Mir schießen die Tränen in die Augen, verzweifelt und wütend über die eigene Verkehrsuntauglichkeit. Bitte nicht schon wieder. Gerade erst der Schulterbruch nach einem Fahrradsturz soweit verheilt. Gerade erst deswegen unseren großen Sommer-Wanderurlaub rund um den Mont Blanc absagen müssen. Am Freitag soll es losgehen: wandern auf den Azoren. Mein softer Wander-Wiedereinstieg soll es sein. Nach monatelanger Sportabstinenz wegen des Schulterbruchs schreit mein ganzer Körper nach Bewegung. Und ehe ich mich versehe, ist der Freitag da. Und es ist gut gegangen – mit genähter Schnittwunde, dickem Knöchel, aber voller Vorfreude sitze ich mit meinem Freund im Flieger. Endlich geht es los. Die Erwartungen an die Azoren sind hoch und sollen nicht enttäuscht werden.

Diese wundervolle Wanderroute entdeckt, hat mein Freund in einem Artikel in seinem Lieblingsmagazin Bergwelten. Die südlichste und sonnenreichste Insel der Azoren Santa Maria zu Fuß umwandern. 81 Kilometer in fünf Etappen, geschlafen wird in alten Ställen, die zum Zweck dieser Wanderroute umgebaut und umfunktioniert wurden. Und das von dem Franzosen Ioannis und seiner portugiesischen Frau Rita, die vor fünf Jahren auf der Insel sesshaft geworden sind.

Ioannis ist selbst großer Wanderliebhaber und hat mit Freunden vor einigen Jahren die Inselumrundung als Weitwanderweg zusammengefügt und markiert, 2015 wurde er offiziell eröffnet. Auf ihrer visuell äußerst gelungenen Webseite lässt sich die Tour mit optionalen Zusatzleistungen wie Gepäcktransport, Abendessen etc. buchen. Gelaufen wird alleine, nachdem man im Wohnhaus der beiden – ebenfalls ein alter Stall, den die beiden für sich und ihre zauberhaften zwei Kinder geschmackvoll und loftartig umgebaut haben – den Schlüssel für die Hütten und die Karte zur Routenübersicht geholt hat (keine Sorge, man läuft nicht nach Karte – wer kann das in Zeiten von Google Maps überhaupt noch, sondern orientiert sich an den Wegmarkierungen).

Dann geht es also los. Bei strahlendem Sonnenschein wage ich humpelnd die ersten Schritte auf der Route – und siehe da, es geht. Es geht sogar besser, je länger ich laufe. Nachdem die Insel mich schon auf den ersten Blick landschaftlich umgehauen hat, komme ich auf der ersten Etappe aus dem Staunen nicht mehr raus. Um es in Markus-Lanz-Manier zu sagen: Spektakulär! Eine solche Vielfalt an Flora und Fauna habe ich bisher nicht gesehen, es scheint als vereinen sich hier die schönsten Landschaften verschiedenster Länder zu einem Gesamtbild. Agaven soweit das Auge reicht und sämtliche verschiedenfarbige Blumen, die ich im Vorbeigehen nach ihrem Namen frage. Gabs da nicht so eine App für Nichtpflanzenkenner? Von Klippenhöhe geht es dann nach einiger Zeit in munterem bergab runter ans Meer und vor dem bekannten Praia Formosa läuft man bereits auf einen (zumindest als wir da waren) einsamen Strand, wo gerade ein Angler von dannen zieht. Und dann steht man da, die Sonne scheint, es ist warm, das Meer lädt zum Baden ein und man hat keine Badesachen dabei. Keine Menschenseele weit und breit – also who cares, Klamotten aus und so wie Gott uns schuf, geht es ab ins Meer. Wo geht das heutzutage noch?

Erfrischt und mit Salz auf Haut und Haaren laufen wir die Etappe zu Ende und kommen – nachdem wir kurz versehentlich auf die Bahn eines Mountainbikerennens geraten – an der ersten Hütte an. Ein sehr schönes, gemütliches Interieur mit vielen Naturmaterialien, unser Gepäck, eine Kühltruhe mit dem Frühstück für den nächsten Morgen und ein Topf mit unserem Abendessen erwarten uns. Ein Bauerneintopf – ich könnte mir nach so einem Wandertag kein besseres Gericht vorstellen und mit Blick auf den Sonnenuntergang lassen wir uns das Essen schmecken, lächeln uns an und sind glücklich.

Die nächsten Tage und Etappen verlaufen nicht minder schön. Das Landschaftsbild verändert sich oft und hat man sich eben noch wie im Dschungel gefühlt, fühlt man sich im nächsten Moment wie in Irland. Zahllose Blumen, Pflanzen und Düfte sind purer Genuss für alle Sinne. Und die Abgeschiedenheit. Wer einen Ort sucht fernab vom Massentourismus, mit viel Natur und wenig Menschen, mit viel Ruhe und wenig Lärm, der wird hier fündig. Abschalten, Akku aufladen, entschleunigen. Santa Maria, du hast mich verzaubert.

Jede der vier Hütten auf der Route hat eine wunderschöne Lage, meist mit Blick aufs Meer. Sie sind ausgestattet mit allem, was man braucht und beherbergen eine richtige Dusche und eine Bio-Toilette (Sägespäne statt Spülung). Jede Hütte bietet Platz für sechs Personen. Über die Webseite bucht man sich ein Bett oder wenn man in einer Gruppe unterwegs ist/nicht mit anderen Besuchern zusammen in der Hütte schlafen möchte die ganze Hütte. Wir hatten das Doppelbett gebucht und wie es der Zufall wollte, hat an unserem Starttag niemand anders die Route begonnen – so hatten wir die Hütten immer für uns.

Wandern auf den Azoren – in fünf Tagen die Sonneninsel Santa Maria umrunden:

Anreise: Zum Beispiel von München mit TAP Portugal nach Lissabon und von dort mit Azores Airlines über Ponta Delgada (auf der Hauptinsel Sao Miguel) nach Santa Maria (je nach Saison gibt es auch Direktflüge von Frankfurt nach Ponta Delgada)
Infos: Die Tour Ilha a pé führt rund 80 Kilometer auf fünf Etappen à 10-20 Kilometer um Santa Maria, die südlichste der Azoreninseln. Die vier Nächte schläft man in vier Hütten, dein Gepäck wird täglich von Unterkunft zu Unterkunft transportiert und dir dabei noch Abendessen und Frühstück in der Hütte bereitgestellt. Neben meinen Zeilen gibt der Bergwelten-Artikel noch nützliche Informationen, alle Infos und Buchung der Route findest du auf https://ilhape.com
Kosten: Wir haben für die Tour Ilha a pé inkl. Gepäcktransport, Abendessen, Frühstück, Handtücher und Bettwäsche 270 € pro Person gezahlt. Die Flüge waren – zugegeben – nicht ganz billig, da wir recht knapp gebucht haben. Für Hin- und Rückflug nach Lissabon haben wir 430 € pro Person gezahlt, für die Flüge mit Azores Airlines von Lissabon nach Santa Maria und zurück ca. 200 € pro Person. Wenn du früh(er) buchst, kommst du für die Flüge von Deutschland nach Lissabon sicherlich günstiger weg.
Lage: Die Azoren sind eine Inselgruppe westlich von Lissabon im Nordatlantik und gehören zu Portugal. Vom Festland erreicht man sie nur mit dem Flugzeug, auch von einer Insel zur anderen kommt man fast nur mit dem Flugzeug.
Reisezeit: Da auf den Azoren ein gemäßigtes Klima herrscht (jeder kennt das Azorenhoch vom Wetterbericht) sind die Azoren grundsätzlich ein ganzjähriges Reiseziel, der geringste Niederschlag fällt jedoch von Mai bis September (ein kleiner Regenschauer ist allerdings durch schnellen Wetterumschwung immer möglich)